Wellness ist ein Lebensstil und keine Behandlung
Wellness gehört neben Fitness und Gesundheit zu den Kernthemen der Messeveranstaltung FIBO. Die FIBO ist die weltweit führende Fitnessmesse. Vor diesem Hintergrund ist der Deutsche Wellness Verband (DWV) seit 2018 offizieller Partner des Messeveranstalters. Das Konzept Wellness könnte in der Fitnessbranche für weit mehr als nur den Saunabereich genutzt werden.
Tatsächlich startete die Wellnessbewegung vor über 30 Jahren in Deutschland - anders als in den USA - in der Fitnessbranche und löste den Trend zu „sanfter Fitness“ aus. Erst später sprangen die Kosmetik-, Spa- und Tourismusbranche auf den Zug auf. Wellness ist keine Behandlung zur Entspannung, sondern ein aktiver, selbst gestalteter Lebensprozess, der mehr Lebenskompetenz, Lebensqualität und Lebensfreude verleiht. Basis dafür, dass man aus dem kaum noch überschaubaren Wellnessangebot für dieses Ziel das Richtige auswählt, sind ein wacher Verstand, kritisches Denken und kluge Entscheidungen. Stattdessen wird Wellness im deutschsprachigen Raum aber bislang irrtümlich mit Abschalten, Loslassen, Entspannen, neuerdings auch profaner "Self Care" bis hin zu fragwürdiger Esoterik in Verbindung gebracht.
Das authentische Wellnesskonzept beruht auf der Ausschöpfung der individuellen Potenziale für ein gesundes, zufriedenes und produktives Leben im Rahmen mehr oder weniger günstiger Rahmenbedingungen, ohne äußerem oder innerem Zwang. Hierbei spielen die Lebenseinstellung – das Mindset – und die Lebensgewohnheiten eine wichtige Rolle. Das in Europa und insbesondere im deutschsprachigen Raum verbreitete Wellnessverständnis gleicht bislang aber eher einem Behandlungskonzept, in dem Alltagsgeschädigte oder -gelangweilte wieder in ihre "innere Balance" zurückgeholt werden sollen bzw. wollen. Der amerikanische Wellness-Pionier Dr. John W. Travis erkennt darin nicht mehr als das Bestreben, höchstens zum Mittelpunkt des eigenen Wellness-Kontinuums zurückgebracht zu werden, an dem einem - medizinisch betrachtet - nichts fehle.
Es ist nur durch ein falsches Verständnis erklärbar, dass Hotel-, Spa-, Bäder-, Masssage- und Kosmetikbetriebe bis heute die dominierende Anbietergruppe im Wellnessmarkt sind. Legt man das ursprüngliche Wellnesskonzept zugrunde, sollte es viel mehr um Transformation als um Kompensation oder Restauration gehen. Zu den periodisch vom American College of Sports Medicine ermittelten internationalen Top Fitness Trends gehört seit Jahren das Wellness Coaching. Coaching bezeichnet per Definition einen professionell begleiteten, inspirierenden Prozess des Erkennens und Ausschöpfens seiner individuellen Potenziale (siehe oben: authentisches Wellnesskonzept!).
Infolge der Coronavirus-Pandemie und der Bewusstseinsbildung über Nachhaltigkeit und Selbstverantwortung finden Verschiebungen statt, die sich auch auf die Lebenseinstellung und den Lebensstil und damit auf das Verständnis von Wellness und die damit verbundenen Erwartungen der Wellness-Kundschaft auswirken. Nun könnte der Zeitpunkt für eine Wellness-Disruption bzw. für einen Paradigmenwechsel im Wellnessmarkt gekommen sein, um die Dominanz der behandlungsorientierten Angebote zurückzudrängen und mit wissenschaftlich fundierten Trainings- und Beratungskonzepten der Wellnessbewegung eine neue Perspektive zu geben. Abschalten und sich entspannen und verwöhnen lassen mag für den Moment gut tun. Mehr aber auch nicht.
Autor:
Lutz Hertel, geschäftsführender Vorsitzender des Deutschen Wellness Verbands
